Langer Weg nach oben

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Michael Sommer, ist aus den Medien hinreichend bekannt. Aber wer weiß, dass sein Stellvertreter eine Frau ist. Ingrid Sehrbrock gehört seit 1999 dem Vorstand des DGB`s an und seit 2006 als Stellvertretende Vorsitzende. Interview von Career-Women.org.

Ingrid Sehrbrock, 62, trat bereits vor vierzig Jahren der Vorgängergewerkschaft von ver.di bei. Als Stellvertretende Vorsitzende des DGB zeichnet sie für Arbeits- und Sozialrecht, für Bildung und Forschung, für Jugend, Frauen und den öffentlichen Dienst verantwortlich. Seit 1987 ist Ingrid Sehrbrock außerdem noch Stellvertretende Vorsitzende der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA).

Career-Women.org: Frau Sehrbrock, aus den DGB-Mitgliederzahlen geht hervor, dass der Anteil der weiblichen Mitglieder im Schnitt unter 20 Prozent liegt. Ausnahmen bilden Gewerkschaft und Erziehung, Nahrung-, Genuss- und Gaststätten, d.h. die klassischen Frauen-Domänen. Wie lassen sich die 20 Prozent interpretieren?

Ingrid Sehrbrock: Es ist ein Durchschnitt über alle Branchen, ja. Und er zeigt, dass bei einem wachsenden Frauenanteil an den Erwerbstätigen noch erheblicher Nachholbedarf besteht. Andererseits sind die Anforderungen die in unserer Gesellschaft an Frauen gestellt werden, sehr hoch. Denn wenn sie erwerbstätig sind, bleiben sie oft genug aller Gleichstellungsanstrengungen zum Trotz die Hauptverantwortlichen für Familie und Kinder. Familie, Erwerbsarbeit, Betriebsratstätigkeit und Einsatz in den gewerkschaftlichen Gremien – das schaffen leider nicht viele!

Career-Women.org: Sie selbst haben über den zweiten Bildungsweg Abitur gemacht und anschließend studiert. Das erfordert viel Disziplin. Wer hat Sie zu diesem Schritt überredet?

Ingrid Sehrbrock: Überreden musste mich niemand. Nach dem Abschluss meiner Ausbildung als Drogistin wurde mir schnell klar, dass es in diesem Berufsfeld für mich keine beruflichen Perspektiven gab. Außerdem war ich neugierig und an vielem interessiert. Der zweite Bildungsweg und das Studium lagen da nahe und ich habe diese Entscheidung nie bereut. Ich kann nur jede junge Frau ermuntern alle Chancen zu nutzen. Wir brauchen gut qualifizierte Frauen auch und gerade in sogenannten Männerdomänen.

Career-Women.org: Sie waren Studienrätin, sammelten Berufserfahrung in der Lederwarenindustrie, im Maschinenbau und einer Werbeagentur, entscheiden sich aber letztendlich für die Politik und Gewerkschaft. Was war der Auslöser?

Ingrid Sehrbrock: Interesse an Politik hatte ich schon seit meiner Schulzeit und es hat mich bei all meinen beruflichen Tätigkeiten begleitet. Ungefähr ab meinem 20. Lebensjahr habe ich mich dann mehr und mehr politisch engagiert und ehrenamtlich in der Jugendorganisation der CDU, später in der CDA, der Arbeitnehmerorganisation der CDU, gearbeitet. Schon seit damals stehen die Anliegen von Beschäftigten und besonders von Frauen für mich im Zentrum meiner politischen Arbeit. Als Studienrätin habe ich Sozialkunde/Politik unterrichtet. Ich wollte Wege aufzeigen, wie man Gesellschaft verändern kann. Und dieser Wunsch, die Lebens- und Arbeitsbedingungen gerade auch für Frauen zu verändern, treibt mich auch heute noch an.

Career-Women.org: Was muss man als Frau mitbringen, um in den Bundesvorstand des DGB, dem Sie seit 10 Jahren angehören, gewählt zu werden?

Ingrid Sehrbrock: Engagement, Sachverstand, und Durchhaltevermögen. Und manchmal ist es gut, die Dinge mit Humor zu nehmen. Unverzichtbar ist in jedem Fall die Unterstützung von Kolleginnen, Freundinnen und Mitarbeitern.

Career-Women.org: Inzwischen sind Sie stellvertretende Vorsitzende des DGB. War diese Karriere von Ihnen bewusst angestrebt oder war es eine günstige Zusammenreihung von Zufällen?

Ingrid Sehrbrock: Eine systematische Karriereplanung war es nicht. Aber den Wechsel von der Ehrenamtlichkeit in die hauptamtliche Politik habe ich dann doch bewusst vollzogen: Persönliche Referentin der Staatssekretärin für Frauenfragen – das hat mich gereizt. Es gab günstige Konstellationen und die gezielte Suche nach neuen Aufgaben. Ich finde, dass Wechsel wichtig sind, um nicht „einzurosten“. Neue Aufgaben eröffnen neue Sichtweisen und die sind unverzichtbar.