Konfliktbereitschaft und Stressresistenz für turbulente Zeiten

Um sich in dieser hochkarätigen Männerdomäne behaupten zu können, braucht man schon eine gehörige Portion an Widerstandskräften: Dr. Gertrude Tumpel-Gugerell hat sie offensichtlich. Sie ist die erste und einzige Frau im Beschlussorgan der Europäischen Zentralbank, dem immerhin 22 Mitglieder aus 16 Ländern angehören. Interview mit Gertrude Tumpel-Gugerell.

Die Griechenlandkrise hat nicht nur das Vertrauen der Finanzmärkte in den Euro erschüttert, sondern zeigte auch, auf welch wackeligen Füßen die Eurozone insgesamt steht. Die Spekulationen reichten vom Ende des Euro bis zum Rauswurf von dramatisch überschuldeten Mitgliedsländern aus der EU-Währung. Die Frage, ob die „gesunden“ Euro-Länder die „kranken“ unterstützen sollen, spaltete die Regierungen. In turbulenten Zeiten wie diesen ist eine Institution ganz besonders gefragt: die Europäische Zentralbank (EZB). Ihr wichtigstes Beschlussorgan ist der EZB-Rat, in dem das EZB-Direktorium und die Präsidenten der nationalen Zentralbanken vertreten sind. Ihr prominentester Sprecher ist EZB-Präsident Jean-Claude Trichet. Dass in dem sechsköpfigen Direktorium auch eine Frau, d.h. Gertrude Tumpel-Gugerell, über die Geschicke Europas entscheidet, ist den wenigsten bekannt.

Tumpel-Gugerell, 57, Österreicherin, gehört seit 2003 dem Direktorium des EZB an. Nach ihrer Promotion zum Doktor der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Wien hat sie die verschiedene Leitungspositionen in der Oesterreischen Nationalbank (OeNB) innegehabt, von 1998-2003 als Vize-Gouverneurin der OeNB. Sie ist verheiratet mit dem österreichischen Präsidenten der Bundesarbeitskammer Herbert Tumpel.

Career-Women.org: Frau Tumpel-Gugerell, welche Charakter-Eigenschaften bringen Sie mit, um sich in dieser Männerdomäne zu behaupten?

Tumpel-Gugerell: Soweit ich mich selbst beurteilen kann sind Zielstrebigkeit, Ausdauer, Hartnäckigkeit, Konfliktbereitschaft und Stressbewältigung gute Voraussetzungen ebenso wie Mut zum Widerspruch.

Career-Women.org: Welche Ihrer Qualifikationen hat Ihnen beim beruflichen Erfolg besonders geholfen?

Tumpel-Gugerell: Bereitschaft, “Extra-Meilen” zu gehen, das heißt sich nicht mit dem Bequemen zufriedengeben, sondern hinterfragen, verändern, gestalten wollen.
Career-Women.org: Wo ist eigentlich Ihr Arbeitsplatz?

Tumpel-Gugerell: Mein Büro ist in Frankfurt, mein Arbeitsplatz ist Europa. Das bedeutet auch viel unterwegs zu sein, in diesen europäischen Hauptstädten und außerhalb Europas. Es ist auch sehr anregend, Themen aus unterschiedlichen Perspektiven zu bearbeiten, aus den Positionen nationaler Institutionen europäische Lösungen zu destillieren.

Career-Women.org: Wie sah bzw. sieht Ihre Work-Life-Balance aus?

Tumpel-Gugerell: Meine Work-Life-Balance enthält viel “Work” und nicht immer genügend “Balance”. Ich versuche durch Sport und Kultur zumindest am Wochenende Abstand zu gewinnen.

Career-Women.org: Was machen Sie am liebsten in Ihrer Freizeit?

Tumpel-Gugerell: Zusammensein mit Familien, Freunden, Reisen, lesen, Austellungen besuchen und Musik hören.

Career-Women.org: Wird sich der Euroraum aus Ihrer Sicht wieder stabilisieren?

Tumpel-Gugerell: In den letzten Monaten hat die Wirtschaft der Eurozone an Dynamik zugenommen. Den Befürchtungen über die Schuldensituation einzelner Länder wurde durch entschlossene Maßnahmen der Regierungen gegengesteuert. Auch die erfolgreich absolvierten Stresstests der Banken haben zur Klärung der Situation und Stabilisierung der Erwartungen beigetragen.