Mascolos „Klumpen-Risiko“

Der Brief, von 350 Journalistinnen unterzeichnet, hat lediglich vier kurze Absätze, aber der Inhalt könnte viele Medienhäuser lange beschäftigen. Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo sah sich am Sonntag direkt mit der Forderung konfrontiert – im Interview mit Ursula von der Leyen. Von Georg Altrogge, Geschäftsführer Meedia.de.

In dem am Sonntag an alle Chefredakteure des Landes verschickten Schreiben fordern mehr als 350 Journalistinnen, dass innerhalb der kommenden fünf Jahre 30 Prozent der redaktionellen Führungspositionen mit Frauen besetzt werden.

Die Bundesministerin für Arbeit hatte in der Vergangenheit mit ihrer Forderung nach einer Frauenquote in den Aufsichtsräten der DAX 30-Konzerne für Wirbel gesorgt und gilt als Befürworterin von Zwangsmaßnahmen zur Verbesserung der Aufstiegschancen von Frauen in Unternehmen. Beim Spiegel war von der Leyen im Rahmen der politischen Gesprächsreihe „Der Montag an der Spitze“ (fand diesmal ausnahmsweise am Sonntag statt) zu Gast. Offenbar hatten die Unterstützerinnen von Pro Quote, unter denen auch viele Spiegel-Redakteurinnen sind, den potenziell heiklen Talk als aufmerksamkeitsstarkes Event für den Start der Aktion gesehen.

In dem Schreiben, das Spiegel-Chefredakteur Mascolo offiziell um 16 Uhr und damit lediglich zwei Stunden vor dem Interview zugeleitet wurde, heißt es: „Frauen sind ’nicht das Problem, sondern die Lösung‘, erkannte – spät bekehrt – Handelsblatt-Chefredakteur Gabor Steingart und kündigte eine Frauenquote für die Führungspositionen in seiner Redaktion an. Diese Maßnahme gebiete ’nicht nur die Gerechtigkeit, sondern auch die ökonomische Vernunft‘.“ Für Mascolo war bereits dies eine Spitze, denn Steingart ist ein alter Bekannter und langjähriger Spiegel-Kollege.

Weiter schreibt das Aktionsbündnis: „Tatsächlich sind nur zwei Prozent aller Chefredakteure der rund 360 deutschen Tages- und Wochenzeitungen Frauen, von den 12 Intendanten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind lediglich drei weiblich. Und auch in den Redaktionen der Nachrichtenmagazine stehen fast ausschließlich Männer an der Spitze. Es ist Zeit, etwas zu ändern. Wir fordern, dass mindestens 30 Prozent der Führungspositionen in den Redaktionen im Laufe der nächsten fünf Jahre mit Frauen besetzt werden – und zwar auf allen Hierarchiestufen. Schaffen Sie das?“

So konkret gefragt, kam auch Mascolo – der bekannter Maßen eine Frauenquote beim Spiegel ablehnt – nicht umhin, beim von Spiegel Online gestreamten Live-Interview mit der Ministerin Farbe zu bekennen, und er tat es wie ein Politiker. „Die Bereitschaft“, so der Chefredakteur mit Blick auf die Verbesserung der Karrierechancen von Frauen beim Nachrichtenmagazin, „muss nicht mehr geweckt werden. Ich kenne niemanden mehr, der den Status Quo verteidigen würde – mich eingeschlossen.“ Es sei auch richtig, dass der Spiegel über lange Zeit „ein klassischer Männerladen“ gewesen sei. ABER: „Die Quote ist in einem Unternehmen wie dem Spiegel nicht das richtige Mittel.“ Er werde sich, sagte Mascolo, dafür einsetzen, dass man dem Ziel einen „großen Schritt“ näher käme, aber das hänge auch davon ab, ob Frauen auch tatsächlich in die Top-Positionen drängen würden.

Nicht nur hier blieb Mascolo unbestimmt. Schon die Frage auf den Anteil der weiblichen Mitarbeiter beim Spiegel hatte der 47-Jährige ziemlich schönfärberisch ausgelegt. Für den gesamten Spiegel gab er folgende Zahlen an: 824 Festangestellte, davon 434 Frauen. Macht „sensationelle“ 53 Prozent. Wir fragen lieber nicht, ob und wie viele Kaffeedamen oder Kantinenkräfte hier dazu gerechnet werden. Und weiter: Von 112 Führungsfunktionen seien 31 mit Frauen besetzt, ergibt 27,7 Prozent.

Bezogen auf die Textredaktion des Spiegel hat MEEDIA nachgerechnet: Laut Impressum dieser Woche gibt es demnach 28 Führungspositionen beim Printmagazin – 4 Chefredakteure, 14 Ressortleiter, 10 Stellvertretende Ressortleiter. Dabei sind lediglich 3 stellvertretende Ressortleitungen mit Frauen besetzt, alle anderen Posten haben Männer inne. Das ist ein – eigentlich alarmierend niedriger – Frauenanteil von nur 10,7 Prozent bei den Spiegel-Print-Topjobs. Dass sich aus dem Pool der Redakteure nicht genügend weibliche Führungskräfte rekrutieren ließen, ist dabei eher unwahrscheinlich. Denn der Gesamtanteil der Frauen in der Textredaktion (also bezogen auf alle Redakteure), liegt der Frauen-Anteil immerhin bei 28,3 Prozent.

CDU-Politikerin von der Leyen hatte das Problem erkannt und konterte angesichts der angeblich guten Bilanz des Spiegel in der Frauenfrage mit dem Standardspruch, mit dem sie bereits die Dax-Konzerne in die Enge getrieben hatte: „Sind diese Zahlen repräsentativ für Vorstand und Aufsichtsrat?“ Eine Frage, die zugegebener Weise den Führungsstrukturen beim Spiegel nicht gerecht wird, aber auf die auch Mascolo nur antworten konnte: „In der Chefredaktion und der Geschäftsführung ist die Quote bei Null.“ Trockener Kommentar von Ursula von der Leyen: „Das ist zu wenig.“

Die Politikerin beschrieb die Negativeffekte der Monokultur reiner Männerwirtschaft als „Klumpen-Risiko“ und verwies auf Studien, die ergeben hätten: „Gemischte Führungsteams machen die besten Ergebnisse.“ Und sie erinnerte daran, dass bei den DAX-Konzernen die freiwillige Selbstverpflichtung in den vergangenen zehn Jahren praktisch keine Veränderung bewirkt hätte: „Weitere zehn Jahre werden wir nicht warten.“ Das ist eine Sache der Politik. Beim Spiegel, wo die Mitarbeiter KG die Mehrheit der Gesellschafter-Stimmrechte hat, könnte es eigentlich deutlich schneller gehen – wo doch keiner was dagegen hat.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Meedia GmbH & Co KG