„Übergabe in Verantwortung“?* Nicht ohne die afghanischen Frauen!

Anlässlich der Mandatsverlängerung zum Afghanistan-Einsatz im Deutschen Bundestag und im Vorfeld von afghanischen Friedensverhandlungen hat sich die Frauenrechts- und Hilfsorganisation medica mondiale mit einem Offenen Brief an verschiedene Ministerien der Bundesregierung gewandt. Sie werden damit aufgefordert, einem afghanischen Friedensprozess, der die Menschenrechte und insbesondere Frauenrechte aufs Spiel setzt, jegliche Unterstützung zu verweigern.

Der Offene Brief richtet sich an die Bundeskanzlerin Angela Merkel, an den Außenminister und Vizekanzler Guido Westerwelle, den Verteidungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und den Entwicklungsminister Dirk Niebel. medica mondiale appelliert dringlich an die PolitikerInnen darauf hinzuwirken, dass der angekündigte verstärkte zivile Aufbau Afghanistans ab sofort als oberste Priorität behandelt und die afghanische Zivilgesellschaft in ihrem Einsatz gegen eine korrupte Regierung und gewalttätige Milizen gestärkt werde.

Bundesentwicklungsminister Niebel hatte in seiner Regierungserklärung am 21. Januar von „massive(r) Aufstockung des zivilen Engagements Deutschlands“ gesprochen. Dieses Eigenlob sei mehr als fragwürdig, erklärte Monika Hauser, geschäftsführendes Vorstandsmitglied von medica mondiale. „Angesichts der immensen Versäumnisse, massiv finanziell und personell zu investieren in die Bereiche Gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, einkommenschaffende Maßnahmen sowie Menschenrechte, ist das nur als Schönfärberei zu bezeichnen“, so Hauser. Zwar hat die Bundesregierung 2010 die Mittel für zivile Hilfe auf bis zu 430 Millionen Euro im Jahr verdoppelt. Für militärische Zwecke sind dagegen rund 1,1 Milliarden Euro veranschlagt –  weiterhin also ein gravierendes Missverhältnis. 

Angesichts der derzeitigen Entwicklung befürchtet medica mondiale ebenso wie afghanische Frauenrechtsaktivistinnen, dass es sowohl Präsident Karzai als auch der internationalen Gemeinschaft darum geht, einen Frieden um jeden Preis herzustellen – selbst wenn dieser Preis den Ausverkauf der Rechte afghanischer Frauen beinhalte.

Ergänzt wird der Offene Brief von einem Forderungspapier von medica mondiale. Darin unterstreicht die Organisation, dass bei einem bevorstehenden Friedensprozess in Afghanistan die Wahrung der Frauen- und Menschenrechte Teil des Verhandlungsergebnisses sein muss. Zu den zentralen Forderungen an die deutsche Politik von medica mondiale gehören unter anderem: künftige Schuldenerlasse, wie den kürzlich durch Außenminister Westerwelle verkündeten in Höhe von 13 Millionen Euro, an Maßnahmen des Gender-Budgeting zu knüpfen, sich durch öffentliche Bekundungen hinter die afghanischen Frauen und Mädchen zu stellen und dafür Sorge zu tragen, dass vereinbarte Vorbedingungen für Friedensverhandlungen – darunter auch die Anerkennung der afghanischen Verfassung durch die Taliban – von der afghanischen Regierung eingehalten werden.

Der Offene Brief sowie das Forderungspapier sind auf der Internetseite www.medicamondiale.org veröffentlicht.

 

* Papier der Bundesregierung vom November 2009: „Auf dem Weg zur Übergabe in Verantwortung“