Führungsspitzen europäischer Unternehmen weiter überwiegend in Männerhand

European Women on Boards veröffentlichen Ranking der 600 führenden börsennotierten Unternehmen in Europa nach dem Frauenanteil in den Boards

Berlin/Brüssel/Paris, 17. Januar 2020: Nur weniger als 5 Prozent der europäischen STOXX-600-Unternehmen haben eine weibliche Vorstandsvorsitzende. Nur 7 Prozent der Aufsichtsrats- bzw. Verwaltungsratsvorsitzenden sind Frauen. Das Ziel der gleichberechtigten Teilhabe ist in Europa noch lange nicht erreicht. Das ergibt der neue European Gender Diversity Index der Initiative European Women on Boards (EWoB). Die gleichberechtige Teilhabe in Führungspositionen stellt in den Ländern der Europäischen Union immer noch die Ausnahme dar.

Trotz der Einführung gesetzlicher Quoten und des Bewusstseins, dass die gleichberechtigte Teilhabe sich positiv auf die Unternehmen auswirkt, werden diese immer noch mehrheitlich von Männern geleitet. Frauen stellen nur 27 Prozent aller unternehmerischen Führungskräfte dar. Dies umfasst Frauen in Aufsichts- oder Verwaltungsräten, diverse Führungsebenen, Vorstände oder Vorstandsäquivalente, aber auch alle Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsausschüsse. Am auffälligsten ist, dass die zentralen Führungspersönlichkeiten der untersuchten Unternehmen, wie Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzende, in der überwältigenden Mehrheit der Fälle Männer sind.

Im Jahr 2012 schlug die Europäische Kommission vor, per Gesetz den Frauenanteil in Aufsichts- und Verwaltungsräten von börsennotierten Unternehmen auf 40 Prozent zu erhöhen. Eine EU-Richtlinie gab als Ziel mindestens 40 Prozent weibliche Aufsichtsratsmitglieder vor. Dieses Ziel sollte im privaten Sektor bis 2020 und in Unternehmen der öffentlichen Hand bis 2018 erreicht werden. Vor dem Hintergrund dieser Diskussion der immer noch nicht verabschiedeten EU-Richtlinie hat die europäische Initiative European Women on Boards (EWoB) die Unternehmen des STOXX Europe 600 aus 17 Ländern in Bezug auf den Frauenanteil in Führungspositionen analysiert. Das Ergebnis der Studie ist der EWoB Gender Diversity Index 2019, der es ermöglicht, die einzelnen Unternehmen miteinander zu vergleichen sowie die Fortschritte der Firmen und ihre gesteckten Ziele zu beurteilen.

“Im Arbeitsalltag sehen wir, dass Männer und Frauen sich beim Denken, Lernen, Lösen komplexer Probleme und Innovation optimal ergänzen. Dennoch ist auch im Jahr 2019 die Zahl der Frauen in Führungspositionen viel zu niedrig“, erklärt die EWoB-Vorsitzende Päivi Jokinen.

Frauen stellen ein Drittel (33 %) aller Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsmitglieder der STOXX Europe 600 Unternehmen. Zwar wurden bei der Erhöhung des Frauenanteils in diesen Gremien signifikante Fortschritte erreicht. Aber selbst in Unternehmen mit einigermaßen ausgewogenem Frauenanteil hinkt der Anteil der Frauen in Führungspositionen hinterher. In den Boards sieht es etwas besser aus, aber das Gesamtbild ist immer noch männerdominiert.

  • Nur 27 der in dieser Studie untersuchten Unternehmen haben eine weibliche Vorstandsvorsitzende, das sind weniger als 5 Prozent.
  • Nur 16 Prozent der Führungskräfte sind Frauen: Dies umfasst die zweite und, falls vorhanden, dritte Managementebene.
  • Frauen haben über alle Führungsebenen hinweg viel seltener Vorsitzpositionen als Männer. Nur 7 Prozent der Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvorsitzenden sind Frauen.

Unternehmen aus Frankreich, Schweden, dem Vereinigten Königreich und Norwegen verzeichnen die größten Fortschritte auf dem Weg zu gleichberechtigter Teilhabe an Führungspositionen. Von den 20 Top-Unternehmen im EWOB Gender Diversity Index 2019 sind sieben französisch, fünf schwedisch und fünf aus dem Vereinigten Königreich. Obwohl Norwegen relativ wenige Unternehmen im Index hat (nur 15), sind diese tendenziell gut platziert, und zwei von ihnen befinden sich unter den Top 20. In Norwegen und Frankreich gelten gesetzliche Quoten für Frauen in Aufsichtsräten von börsennotierten Unternehmen, ebenso in Belgien, Deutschland und Italien, nicht dagegen in Schweden und dem Vereinigten Königreich. Schweizer Unternehmen haben die geringste Diversität in Führungspositionen. Zehn der untersten 20 Unternehmen im Index stammen aus der Schweiz.

Der Durchschnitt der im EWOB Gender Diversity Index (GDI) analysierten Unternehmen liegt bei 0,53, wobei der Wert 1 eine vollständige Gleichberechtigung darstellt. Nur 30 Unternehmen (5 %) sind nahe daran, mit einem EWOB-GDI-Wert von 0,8 oder mehr eine geschlechterausgewogene Führung zu haben. Dagegen haben 53 Unternehmen im Datenbestand (9 %) stark männlich dominierte Boards mit einem EWOB-GDI von 0,3 oder weniger. Selbst 2019 gibt es noch drei Firmen unter diesen 600, die keine einzige Frau in irgendeiner Führungsposition haben.

Nach dem zum 31.10.2019 aktualisierten Women-on-Board-Index von FidAR liegt der Anteil der Frauen in den Kontrollgremien der aktuell 186 im DAX, MDAX und SDAX sowie der im Regulierten Markt notierten, voll mitbestimmten Unternehmen bei 31,8 Prozent, in den Vorständen bei 10,1 Prozent. Die aktuell 105 der Quote unterliegenden Unternehmen erreichen im Aufsichtsrat durchschnittlich 34,9 Prozent Frauen, im Vorstand liegt der Anteil bei den Quotenunternehmen bei 10,8 Prozent.

„Vor dem Hintergrund, dass 15 (8,1 %) der 186 im WoB-Index untersuchten Unternehmen keine Frau im Aufsichtsrat oder Vorstand haben, sind die Zahlen für Deutschland schon fast ermutigend“, erklärt FidAR-Präsidentin Monika Schulz-Strelow. „Mit der Einführung der Frauenquote wurde die Gleichberechtigung in den Führungsetagen der Wirtschaft erheblich verbessert. Allerdings sind Frauen in den Vorständen und in Spitzenpositionen im Aufsichtsrat und im Management weiterhin deutlich unterrepräsentiert.“

Mit einem GDI von 1,04 erzielt das schwedische Unternehmen Castellum das beste Ergebnis. „Wir haben gleichberechtigte Teilhabe energisch vorangetrieben, weil wir wissen, dass uns das besser und ertragreicher macht. Wir arbeiten jetzt mit Hochdruck daran, alle Bereiche der Organisation geschlechterausgewogen zu machen“, kommentiert der Vorstandsvorsitzender Henrik Saxborn von Castellum die starke Positionierung.

„Viele deutsche Unternehmen können von der Haltung von Castellum lernen. In Skandinavien hat die gleichberechtigte Teilhabe in Führungspositionen nicht nur einen hohen Stellenwert, sie ist auch sozial anerkannt und damit völlig selbstverständlich“, betont Schulz-Strelow.

Die vollständige Studie finden Sie unter https://europeanwomenonboards.eu/ewob-gdi-2019/.