Offener Brief an Dr. Kristina Schröder

Melanie Vogel, Initiatorin der women&work, Geschäftsfrau mit Familie, schreibt: „Im Gegensatz zu Ihnen, sitzen wir aber nicht an den Hebeln der Macht, sondern müssen mit sehr viel Energie, Kraft, durch gute Netzwerke, einer gehörigen Portion Pioniergeist, Mut und modernen Männern an der Seite schaffen, was Sie durch Ihre Politik nicht unterstützen: Vereinbarkeit! “

Sehr geehrte Frau Ministerin,

glauben Sie mir, ich verstehe Ihre Situation: als Vollzeit arbeitende Mutter eines kleinen Kindes stecken Sie in den gleichen Rollenkonflikten, unter denen unzählige Mütter schon vor Ihnen gelitten haben, zur Zeit leiden – und auch in Zukunft leiden werden, wenn sich in Deutschland nicht sehr schnell etwas ändert.

Ja, den Stempel „Rabenmutter“ gibt es. Ja, berufstätige Mütter haben es deutlich schwerer, sich im Job zu bewähren. Sie werden nach wie vor diskriminiert und viel zu selten in Betracht gezogen, wenn es um Führungspositionen und Aufstiegsmöglichkeiten geht.
(Schauen Sie sich in dem Zusammenhang bitte unbedingt einen Auszug von Kommentaren betroffener Frauen auf der Seite www.womenandwork.de/abstimmung an. Eine Aktion, die ich gemeinsam mit der PR- und Strategieberaterin Astrid Braun-Höller ins Leben gerufen habe, um zu zeigen, dass es in Deutschland sehr wohl Frauen gibt, die in Führung wollen).
Und ja, es gibt Frauen mit und ohne Führungsposition, die diesen ungerechten Kampf nicht mehr mit machen möchten und sich für den vermeintlich einfacheren Weg entscheiden, einfach zu Hause zu bleiben.

Sie haben das alles sehr richtig erkannt. Leider ziehen Sie die falschen Schlussfolgerungen und nutzen Ihre momentane Position als Ministerin nicht aus, um die Strukturen zu ändern.

Sie möchten sich als Frau nicht in die Entscheidungen anderer Frauen einmischen. Genauso wenig wie Sie als Privatperson möchten, dass Ihre Berufs- und Lebensentscheidungen kommentiert, kritisiert und verurteilt werden. Wären Sie „Erika Mustermann“, würde ich Ihnen zustimmen. Frauen gehört endlich das (gesellschaftliche) Recht zugesprochen, freie Entscheidungen treffen zu dürfen, ob ein Leben mit Kind gleichzeitig auch ein Leben mit Karriere sein soll oder nicht.

Aber Sie sind nicht „Erika Mustermann“!
Sie sind Politikerin und eine von sehr wenigen Frauen, die es in Deutschland nach ganz oben geschafft haben. Nun könnten Sie für viele Frauen ein Vorbild sein, wenn Sie nicht den Fehler machen würden, ihre privaten Wünsche mit Ihrer Funktion als Politikerin zu vermischen.
Die Politik muss mitmischen und gestalten! Vor allem dann, wenn – so wie beim Thema Frauen und Karriere – nach wie vor strukturelle Ungerechtigkeiten den Alltag von Frauen bestimmen.

Dass Sie politisch inaktiv bleiben bzw. Fehlentscheidungen treffen, die weder den Frauen, noch den Familien und Kindern gerecht werden, kann und darf nicht unkommentiert bleiben.

Dass Sie dabei den „Feminismus“ kritisieren, ist nicht nur politisch falsch, sondern menschlich ein Schlag ins Gesicht für alle Frauen, die sich seit Jahren und Jahrzehnten für die Gleichberechtigung stark machen.
Die „Feministinnen“ waren und sind nicht Ihre Feindinnen. Ihr Feindbild ist ein veraltetes Rollen- bzw. Mutterbild, das seit dem 3. Reich nicht modernisiert wurde. Eine Gesellschaft, die sich an Rollenbildern aus dem 20. Jahrhundert orientiert, ist im 21. Jahrhundert zum Scheitern verurteilt. Genau dieses veraltete Rollenbild stärken Sie unter anderem aber durch die Einführung des Betreuungsgeldes.

Als Veranstalterin der women&work, deren Schirmherrin Sie im letzten Jahr waren, betrachte ich mich als die „neue F-Klasse“, wie sie in einem Buch vor Jahren genannt wurde.
Ich bin Frau, Führungskraft und habe eine Familie, wie Tausende anderer Frauen auch. Im Gegensatz zu Ihnen, sitzen wir aber nicht an den Hebeln der Macht, sondern müssen mit sehr viel Energie, Kraft, durch gute Netzwerke, einer gehörigen Portion Pioniergeist, Mut und modernen Männern an der Seite schaffen, was Sie durch Ihre Politik nicht unterstützen: Vereinbarkeit!

Im Gegenteil. Ihr Ministerium in Bonn – ausgezeichnet mit dem Signet „Beruf & Familie“ – plant gerade, seinen Betriebskindergarten an die Stadt Bonn zu übertragen. Wohl wissend, dass sich die Öffnungs- und Betreuungszeiten so verschlechtern werden, dass es sich für viele Familien jetzt schon abzeichnet, dass eine Vollzeittätigkeit beider Eltern fraglich ist.

Fällt auch das unter das Schlagwort „Freie Wahl der Frauen“?

Mittlerweile bin ich zu einer Verfechterin der Quote geworden und habe nun mit Erstaunen vernommen, dass Sie Ihre politische Zukunft an die Einführung oder Nicht-Einführung einer Quote koppeln.
Ich baue darauf, dass die Quote kommt und ich würde mir sehr wünschen, dass Sie Ihre verbleibende Zeit im Amt nutzen und einen Drei-Punkte-Plan umsetzen, der den strukturellen Benachteiligungen von Frauen entgegenwirkt:

  1. Sorgen Sie dafür, dass das Betreuungsgeld nicht eingeführt wird.
  2. Schaffen Sie die politische Grundlage, für eine flächendeckende und flexible Kinderbetreuung und fangen Sie damit in Ihrem Ministerium in Bonn an.
  3. Stimmen Sie einer zeitlich befristeten Quote von 10 Jahren zu.

Danach können Sie dann das tun, was Ihnen zur Zeit vermutlich und verständlicherweise das größte Bedürfnis ist: Frei wählen, ob Sie Beruf und Familie weiter vereinbaren wollen oder nicht.

Oder Sie ziehen schon jetzt die Konsequenz aus Ihrer „Nicht-Eingriffs-Strategie“ und treten zurück, denn ein handlungsunwilliges Ministerium ist ein überflüssiges.

Mit freundlichen Grüßen,
Melanie Vogel
Initiatorin der women&work
Deutschlands größter Messe-Kongress für Frauen