Bauingenieur-Studentinnen packen bei Forschungsbohrungen mit an

Baustellen sind ihre große Leidenschaft. Als die beiden Bauingenieurstudentinnen Sevda Altuntepe und Annika Güney im Mai neben anderen das A-Bohrteam des Geothermiezentrums formten, engagierten sie sich nicht nur sofort voll bei einer körperlich anstrengenden Arbeit, sie hatten auch gleich Verbesserungsvorschläge für die Abläufe vor Ort, erinnert sich der verantwortliche Ingenieur Volker Wittig lächelnd.

Denn ihre Bohrungen für die Erdwärmegewinnung zum Heizen und Kühlen des neuen Gebäudekomplexes des Geothermiezentrums, der derzeit auf dem Campus der Hochschule Bochum entsteht, führen die Bochumer Erdwärme-Experten in Eigenregie durch. Wichtigstes Werkzeug dieses Projekts ist dabei die eigens mit der Industrie konzipierte High-Tech-Bohranlage „BOREX“, welche hier erstmals im praktischen Einsatz getestet wird. 20 Sonden von jeweils 200 Metern Länge werden in die sternförmig angelegten Bohrungen eingebracht, ein innovatives Forschungsprojekt namens „GeoStar“, welches von den Bochumern hier erstmals als Großprojekt umgesetzt wird. Und Sevda Altuntepe und Annika Güney entwickeln und packen mit an, montieren und demontieren Bohrgestänge, tun manches andere mehr.

Dafür, dass die Frauen, die beide im 7. Semester studieren, diese schwere Arbeit machen dürfen, mussten sie einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Denn selbstverständlich, dass Frauen an solchen Stellen auf dem Bau tätig sind, ist es bis heute nicht. Sicherlich gibt es auch gute Gründe dafür, schließlich ist hier eine gehörige Portion körperlicher Fitness gefragt. Aber ein Grund muss ja kein Hindernis sein: „125 Newtonmeter“, sagt die schlanke Sevda Altuntepe mit einem bedeutungsvollen Blick auf ihren angehobenen Bizeps und meint damit eine Armbeugekraft, die eher für Männer typisch ist.

Weit wichtiger bei ihrer Arbeit ist allerdings das richtige Durchsetzungsvermögen in einer männerdominierten Welt. „Anfangs“, erinnert sich Sevda Altuntepe, „haben wir schon von dem einen oder anderen zu hören bekommen, Frauen hätten auf der Baustelle nichts zu suchen. Aber ich habe schon bei meiner früheren Arbeit gelernt, wie man sich da durchsetzen kann. Wenn es sein musste, haben wir die Dinge auch mal vor versammelter Mannschaft zurechtgerückt“, erklärt sie selbstbewusst. Und dazu überzeugen die 27-jährige Annika Güney und ihre 28-jährige Kommilitonin nicht zuletzt mit Kompetenz. Schließlich sind die Aktivitäten um den BOREX keineswegs ihre erste Baustelle.
In einem früheren Leben war Sevda Altuntepe Angestellte in einer großen Rechtsanwaltskanzlei, Annika Güney war Industriekauffrau. Das wollten beide ändern. „Da kamen bei mir zwei Dinge zusammen“, erzählt die eloquente Sevda. „In einem Anwaltsbüro geht es immer um Streitereien, Meinungsverschiedenheiten; und ich wollte irgendwann einfach nur noch etwas Positives, Konstruktives tun. Außerdem hatte mein Gehirn Hunger“, fügt sie schmunzelnd hinzu. Und auch Annika Güney hatte Sehnsucht nach praktischerer Arbeit; da ihr Vater Bauunternehmer ist, wusste sie genau, was sie zukünftig lernen wollte.

Kennengelernt haben sie sich im Hörsaal. Ihr Pflichtpraktikum bei Bilfinger Berger an der Wuppertaler Schwebebahn haben sie gemeinsam absolviert. Und bis heute sind sie dort von Zeit zu Zeit im Einsatz. Die Schwebebahn ist alles andere als eine gewöhnliche Baustelle: Die Arbeiten finden nicht zuletzt nachts statt, Stahlbaukenntnisse sind gefragt. „Nachts waren wir auf der Baustelle, morgens saßen wir ungeduscht und in voller Montur im Hörsaal“, beschreibt Annika Güney.

Aber es lohnte sich, davon sind beide überzeugt. „Unsere Chefs bei der Firma BIS VAM Anlagentechnik, Rudolf Eidenberger und Thomas Stih, haben uns unheimlich viel beigebracht“, erinnert sich Altuntepe. Und bei diesem Thema wird sie sichtbar, die Leidenschaft für Baustellen: dass es um Millimeterarbeit gehe und darum, jederzeit alle Abläufe und Umstände, die vor Ort wichtig sind, mit zu bedenken, dass hier aus Theoretischem Konkretes und Praktisches wird, dass man jederzeit hellwach sein müsse, um alles richtig zu machen, davon schwärmen sie.

Auf der Grunderfahrung bei der Schwebebahn haben sie aufgebaut: Sevda Altuntepe hat in Wuppertal zuletzt als stellvertretende Bauleiterin gewirkt. „Irgendwie ist die Schwebebahn auch unser Baby geworden“, bekennt sie. Und dass sie zweimal in jedem Studienjahr jeweils mindestens einen Monat lang auf Baustellen gearbeitet haben, ist für ihren Lebensunterhalt nicht notwendig, es macht ihnen aber sichtbaren Spaß. Den brauchen sie auch. Schließlich bleibt ihnen sonst wenig Zeit. „Freizeit haben wir eigentlich gar nicht. Entweder wir studieren oder wir arbeiten“, meint Sevda Altuntepe.

Schnell geht der Blick der Studentinnen zurück zur Baustelle: Zusammen waren sie etwa 2011 im österreichischen Linz, wo sie im voestalpine-Stahlwerk mithalfen eine alte tonnenschwere Haspel (Vorrichtung zum Aufwickeln von Blechbändern) umzubauen. Als sie im September dann wieder in Bochum waren, hatten sie erstmals Gelegenheit, sich die Bohranlage BOREX anzusehen und ihre Demonstration zu erleben. Als Kommilitonen dann als Hilfskräfte die ersten Arbeiten für die Geothermie-Bohrungen machten, da erkannten sie die Chance zum Arbeiten und Studieren an einem Ort und hatten auch gleich ihre Botschaft für Volker Wittig und das Geothermie-Team bereit: „Wenn Sie wollen, dass die Baustelle vorangeht, dann müssen Sie uns einstellen!“ Im August hat die Zertifizierungsstelle Zert-Bau in Berlin das Geothermiezentrum und die Hochschule Bochum für das Bohren auf technisch und fachlich aktuellem Stand („W120“) zertifiziert. Auf dem Gruppenbild mit der Urkunde kann man deutlich erkennen, dass Sevda Altuntepe und Annika Güney mittlerweile ein fester Bestandteil der Mannschaft sind. Und tatsächlich: Manchmal werden die beiden sogar das „goldene A-Team“ genannt…

http://www.geothermie-zentrum.de/ – das Internationale Geothermiezentrum