Links von der Mitte? Dr. Gregor Gysi im Bankhaus Merck Finck AG

Vor 30 Jahren wäre jeder als Irrer verdächtigt worden, der den Auftritt des DDR- Prominenten Dr. Gregor Gysi im Kölner Tempel des Kapitalismus, bei den noblen Privatbankiers Merck Finck AG, prophezeit hätte. Aber: so schnell ändern sich die Ansichten. Der ehemalige Vorsitzende der SED/PDS (1989-1993) und Präsident der Europäischen Linken war hochwillkommen beim achten „Kamingespräch“, zu dem der Wirtschaftsclub Köln und das Netzwerk „PepperMINT“ geladen hatten.

„Gibt es bald eine Mehrheit links von der Mitte?“ wollte Marc E. Kurtenbach, Direktor  Private Investoren und Spezialmandate des Bankhauses und Präsident des Wirtschaftsclubs Köln, zur Begrüßung des Gastes wissen. Karin Bäck, Vorsitzende von PepperMINT, einem Netzwerk zur Förderung des weiblichen Führungsnachwuchses in Industrie und Dienstleistung, und Initiatorin der „Kamingespräche“, moderierte die Veranstaltung.

Dass Dr. Gysi heute fest auf dem Boden des Grundgesetzes steht, kann niemand anzweifeln, der seine politischen Aktivitäten, seine Reden und  Vorträge, seine Bücher  und Analysen des politischen Geschehens liest, hört, erlebt. 

Pointiert erklärte er seinen Zuhörern seine Sicht auf die Vor- und Nachteile des Kapitalismus: der könne höchst effizient Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur fördern.  Er könne aber weder den Frieden sichern  noch die soziale Gerechtigkeit und die ökologische Nachhaltigkeit weiter entwickeln. Zu seinen Gastgebern bemerkte er kritisch, die Großbanken seien zu mächtig, da sie im Zweifelsfall vom Staat bzw. den Steuerzahlern auch bei großen Fehlern ihrer Manager gerettet würden.  Als Beispiel verwies er auf die Commerzbank,  an der der Staat immer noch mit rund 17% beteiligt ist. „Und dabei tragen alle das Risiko, aber bei  der  Gewinnausschüttung geht der Fiskus leer aus“, hält er den Experten des Finanzministers  vor.

Mittelstand in Gefahr

Für seine Analyse, der Mittelstand sei wirtschaftlich am stärksten gefährdet, erntete Gysi auch in Köln kaum Widerspruch. Die großen Konzerne würden im Notfall vom Staat gerettet. Die Bürger in prekären Verhältnissen hätten nichts zu verlieren. Aber den „kleinen“ Handwerkern,  Kaufleuten oder Dienstleistern, Facharbeitern und Angestellten drohe Gefahr.

„Der Westen kann nicht aufhören zu siegen“  ist Gysis Erklärung für die vielen Kriege, die die Welt bedrohen.  Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hätten sich die USA und ihre Verbündeten nicht zufrieden gegeben sondern sich mit aller Energie um die Ausdehnung ihres Machtbereichs bemüht. Deutschland warnte er davor, sich jetzt auch noch in den Syrien-Krieg verwickeln zu lassen. „Wir  müssen die Bundeswehr von ihren Auslandseinsätzen zurück holen, sie nicht in weitere jagen“, fordert er. Da Deutschland keine Aggression von anderen Staaten zu fürchten habe, müsse die Bundeswehr nicht  aufgerüstet werden. „Die Etats werden aufgestockt – nur weil ein Mann das verlangt, dessen  Berechenbarkeit unter der einer Roulettekugel liegt.“

Zum Migrantenproblem hat Gysi eine ganz simple und deshalb umso einleuchtendere Erklärung: Erst durch Handys und Smart Phones würden die Bewohner der nicht entwickelten Ländern sehen können, wie verlockend das Leben in Europa sei.  „Diese Bilder haben ihren Wunsch nach einem besseren Leben unwiderstehlich gemacht. Sie werden ihren neuen Zielen unaufhaltbar folgen. Nur eine Verbesserung der Lebensverhältnisse in ihren Heimatländern  können sie vom Marsch nach Europa abhalten.“

SPD muss wieder eine echte Alternative zu den Bürgerlichen  entwickeln

Als prominenter Links-Politiker hatte Gysi auch Ratschläge für die SPD: „Diese Partei muss endlich wieder eine Alternative zu den Bürgerlichen und Konservativen entwickeln.   So wie damals mit Willy Brandt.“

Der ehemalige Kapitalismus-Gegner und DDR-Anwalt erhielt von den geladenen Gästen im exklusiven Kaminzimmer der Privatbank viel Zustimmung und Applaus für seine unterhaltsam vorgetragenen Thesen und Analysen, denen kaum einer wirklich energisch widersprechen mochte. Aber die Antwort auf die Initiativ-Frage nach einer linken Mehrheit im Bundestag konnte der Referent letztendlich auch nicht geben. Trotzdem werteten die Zuhörer, darunter auch der Bankvorstand Matthias Schellenberg, Köln Bürgermeister Hans-Werner Bartsch, IHK-Vizepräsidentin Dr. Sandra von  Möller, Thomas Günther (Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft), Professor Herzig, ( Rektor der TH Köln), Professor Ulrich Daldrup,( Präsident des Wirtschaftsclubs Aachen-Maastricht,)und Robert Müller Grünow, Träger des Unternehmerpreis Köln sowie Christian Kerner, geschäftsführender Vorstand des Wirtschaftsclubs Köln. Jörg Detjen, Fraktionsvorsitzender der Linken im Kölner Rat, war sichtbar happy, als er dem Ex-Parteichef die Hand schütteln konnte.

Ulrich Gross