Moderne Justitia

Wer das Glück hat, sie kennen zu lernen, wird nie wieder behaupten, Jura sei trocken und Richterinnen eher verschroben. Im Gegenteil, sie wirkt ansteckend mit ihrer Lebenslust, sie sprüht vor Energie und strahlt gleichzeitig Herzlichkeit aus. Margarete Gräfin von Schwerin ist die erste Frau in der Geschichte des Oberlandesgerichts Köln, die zur Vizepräsidentin ernannt wurde.

Das schönste und beeindruckendste Treppenhaus von Köln befindet sich im Oberlandesgericht am Reichenspergerplatz. Die prachtvolle Bauweise im neubarocken Stil sollte ursprünglich „die neue Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber Königshäusern und Kirche“ symbolisieren. Und deswegen musste natürlich ein gewichtiges Pendant zu Schlössern, Kathedralen, etc. geschaffen werden.

Margarete Gräfin von Schwerin freut sich jeden Tag aufs neue, in dieses schöne Gebäude zu kommen. Sie arbeitet gern in Köln, lebt aber auch gern in Bonn und bezeichnet sich als Köln-Bonnerin. Ihre richterliche Laufbahn begann sie 1981 beim Landgericht Bonn. Vor gut fünf Jahren wurde die Juristin zur Vizepräsidentin des Oberlandesgerichts in Köln ernannt. In diesem Amt nimmt die 54-Jährige in erster Linie Verwaltungsaufgaben wahr. Darüber hinaus ist sie Vorsitzende des 1. Zivilsenats, in dessen Zuständigkeit „Berufungen und Beschwerden in Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus gewerblichen Miet- und Pachtverhältnissen“ fallen. Verdient gemacht hat sie sich außerdem um die Ausbildung des juristischen Nachwuchses. Seit 2002 ist die Vollblut-Juristin auch stellvertretende Vorsitzende des Justizprüfungsamtes bei dem OLG Köln.

business-on.de:Gräfin von Schwerin, ursprünglich studierten Sie Jura in der festen Absicht, Rechtsanwältin zu werden. Tatsächlich sind Sie am Gericht gelandet und seit nunmehr 26 Jahren als Richterin in verschiedenen Positionen tätig. Wie kam es dazu?

Staatsdienst nie bereut

Gräfin von Schwerin: Mit 12 Jahren faszinierte mich eine amerikanische Screwball- Komödie mit Catherine Hepburn und Spencer Tracy – er als Richter und sie als Rechtsanwältin – so sehr, dass ich beschloss, Anwältin zu werden. Bei diesem Wunsch ist es auch während des ganzen Jurastudiums geblieben. Während meiner Referendarzeit hatte ich dann aber das Glück, in der Zivilstage beim Amtsgericht Siegburg eine wunderbare Richterin als Ausbilderin zu haben. Sie hat mich so stark beeindruckt, dass ich mich dann doch für den Staatsdienst entschieden und das nie bereut habe.

business-on.de: Muss man als Richterin eine spezielle Qualifikation aus dem Studium mitbringen?

Gräfin von Schwerin: Nein, wir haben noch den so genannten Einheitsjuristen. Das heißt, wer nach der Referendarzeit das zweite Staatsexamen absolviert hat, kann im Prinzip Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt oder Notar werden oder jeden anderen juristischen Beruf ergreifen. Allerdings braucht man ein Prädikatsexamen, um in den richterlichen Dienst übernommen zu werden.

business-on.de: .. und das bedeutet?

Gräfin von Schwerin: Als Grundlage einer erfolgreichversprechenden Bewerbung im Staatsdienst sollte man heute in beiden juristischen Staatsprüfungen mindestens die Note „vollbefriedigend“ oder besser erreicht haben.

business-on.de: Haben Sie als Richterin ein Spezialgebiet?

Gräfin von Schwerin: Nein, man wird, vor allem in der etwa dreijährigen Probezeit, in verschiedenen Rechtsgebieten eingesetzt. Das ist auch wichtig, um möglichst viele Bereiche (Zivil-, Straf- oder Familienrecht) kennenzulernen. Auch später kann man nur begrenzt Einfluss nehmen.

business-on.de: Gibt es trotzdem Präferenzen von Ihrer Seite?

Gräfin von Schwerin: Ganz persönlich bevorzuge ich das Zivilrecht, weil mir die Rechtsmaterie am meisten liegt. Eine Tätigkeit im Strafrecht ist nicht einfach, weil Sie es oft mit gestrauchelten Menschen zu tun haben. Häufig blicken Sie in tiefe Abgründe und werden mit schrecklichen menschlichen Schicksalen konfrontiert, was nicht immer einfach zu bewältigen ist. Ich bewundere alle Kollegen, die ihren Schwerpunkt auf das Strafrecht gelegt haben. Generell gilt aber: Was man macht, das bestimmt das Präsidium des Gerichts, an dem man tätig ist. Es wird allerdings auch ein bisschen Rücksicht genommen auf Vorlieben und Antipathien.

business-on.de: Sie sind die erste Vizepräsidentin am OLG Köln. Wie sieht ganz allgemein das Verhältnis von weiblichen zu männlichen Richtern aus?

Gräfin von Schwerin: Früher waren Frauen ja eher die Ausnahme im Richterberuf, ebenso auch bei den Staatsanwälten und Rechtsanwälten; Jura galt als klassische Männerdomäne. Als ich anfing, betrug der Anteil an Richterinnen bei den Gerichten noch deutlich unter 20 %. Das hat sich geändert. Heute haben wir beispielsweise eine Bundesjustizministerin, mehrere Landesjustizministerinnen, eine Generalbundesanwältin und auch einigen Oberlandesgerichten stehen Präsidentinnen vor. Der Trend geht also in die richtige Richtung!

business-on.de: Was glauben Sie, welche Voraussetzungen Frau mitbringen muss, um Karriere bei Gericht zu machen?

Management- und Organisationsqualitäten

Gräfin von Schwerin: In erster Linie die gleichen wie Männer, wobei Karriere natürlich grundsätzlich gar nicht planbar ist. Ich habe meine Arbeit genauso wie alle anderen Richterkolleginnen und -kollegen erledigt. Allerdings bin ich relativ früh aufgefordert worden, neben der rein richterlichen Tätigkeit auch Verwaltungsangelegenheiten zu übernehmen. Das erfordert zusätzliche Management- und Organisationsqualitäten und das Spektrum der Aufgabenbereiche wird zwangsläufig breiter. Ansonsten ist eine Beförderung immer mit einem Quäntchen Glück und vor allem mit dem Umstand verbunden, dass andere auf die eigene Leistung aufmerksam werden und zur Förderung bereit sein müssen.

business-on.de: Welche persönlichen Voraussetzungen sind nach Ihrem Verständnis wichtig?

Gräfin von Schwerin: Man muss vor allem Freude an der Arbeit haben, Fleiß und Einsatzbereitschaft sind daneben selbstverständlich auch mitzubringen. Für mich persönlich ist das Wichtigste, dass man die Dinge mit Herzblut macht. Das gilt sowohl für die Richter- wie auch für die Verwaltungstätigkeit.

business-on.de: Lassen sich Herzblut und strenge Gerichtsbarkeit eigentlich vereinbaren?

Gräfin von Schwerin: Ja. Die ganze Atmosphäre ist doch viel angenehmer und lockerer geworden. Diesen altehrwürdigen Senatsvorsitzenden, in dessen Gegenwart alles erschauerte, den gibt es heute nicht mehr. Der Umgang miteinander ist heute viel kollegialer und ungezwungener als vor zwanzig oder dreißig Jahren.

business-on.de: Sie sagten, dass Sie nie darauf hingearbeitet haben, Vizepräsidentin zu werden. Glauben Sie, dass Frauen weniger gezielt eine Karriere planen als Männer?

Gräfin von Schwerin: Vielleicht ist es wirklich so, dass Frauen diesen Ehrgeiz nicht so vordringlich haben oder er setzt erst später ein. Bei mir kam die erste Beförderung zum damaligen Zeitpunkt ungeplant. Ich hatte wenige Monate nach der Geburt meiner Tochter gerade meinen Dienst beim Landgericht Bonn wieder angetreten, als ich überraschend einen frei gewordenen Platz zur Erprobung beim Oberlandesgericht angeboten erhielt – eine achtmonatige Erprobungszeit ist als Beförderungsvoraussetzung nötig. Ich habe das dann spontan gemacht.

business-on.de: Ist Ihnen die Entscheidung leicht gefallen?

Beruflicher Erfolg trotz Mutterschaft

Gräfin von Schwerin: Für mich war die Entscheidung richtig, aber trotzdem war ich natürlich auch von der Sorge getragen, das Kind zu vernachlässigen – im nachhinein unbegründet, denn meine Tochter hat sich blendend entwickelt, sie ist sehr selbstständig, sehr zuverlässig – leider auch sehr kritisch mit mir, was aber ein wunderbares und oft nötiges Korrektiv für mich bedeutet. Aber es bestätigt mir, dass man auch mit Kindern beruflich erfolgreich sein kann.

business-on.de: Die Wurzeln Ihrer Familie gehen auf ein altes preußisches Adelsgeschlecht zurück. Eine ihrer Vorfahrinnen hieß ebenfalls Margarete.

Gräfin von Schwerin: Sie wurde von den Rotarmisten 1945 erschossen, als sie das Gut und die aufgenommenen Flüchtlinge nicht zurücklassen wollte.

business-on.de: Was verbindet Sie heute mit Ihren adligen Vorfahren?

Herkunft kein übertragbares Privileg

Gräfin von Schwerin: Jene Margarete war eine Großcousine meines Vaters. Er hat uns Kindern früher oft über deren besonders liebenswürdiges Naturell und die traurigen Umstände ihres Todes berichtet. Für mich hat die Herkunft keineswegs die Bedeutung, etwas Besonderes zu sein. Ich bin bürgerlich aufgewachsen und mein Name ist für mich ein ganz normaler Name wie jeder andere. Natürlich bin ich mit der Historie der Familie aus Überlieferungen der Großeltern und Erzählungen meines Vaters groß geworden, speziell über die Verdienste der Schwerins zu Zeiten Friedrichs des Großen.

business-on.de: Hat man mit dem Namen ein schweres oder leichtes Erbe übernommen?

Gräfin von Schwerin: Als Kind habe ich unter dem Namen sehr gelitten. Mein Vater war nach dem Krieg als Flüchtling nach Westfalen gekommen – ohne Hab und Gut. Er musste sich zusammen mit meiner westfälischen Mutter, von der ich ohnehin das Bodenständige geerbt habe, erst einmal eine neue Existenz aufbauen und wir lebten zunächst keineswegs in besonders großzügigen Verhältnissen. Meine Mitschüler haben das nicht so richtig verstanden. Viele hatten die Vorstellung, dass ich zuhause doch mindestens in einem Schloss wohnen und immer mit Chauffeur zur Schule gebracht würde, was natürlich nicht der Fall war. Dadurch kam ich oft in eine Rechtfertigungssituation, was mir unangenehm war. Sicherlich ist der Name schon etwas besonderes, aber bestimmt kein wie auch immer geartetes Privileg.

business-on.de: Sie sind kürzlich als Mitglied im neu gegründeten Rotary Club Köln-Kapitol aufgenommen worden. Was bedeutet Ihnen der Rotary Club?

Soziales Engagement fällt gemeinsam leichter

Gräfin von Schwerin: Zwei Aspekte sind mir wichtig. Erstens verstehen sich die Rotarier als eine Art Sozialdienst. Sie betreuen Projekte in verschiedenen Bereichen wie z.B. Bildungsförderung, Armuts-, Hunger- und Krankheitsbekämpfung. Ich habe mir schon immer gewünscht, einmal an einem konkreten sozialen Projekt mitwirken zu können. Aber wie packt man das an, solange man noch engagiert beruflich tätig ist und kaum Zeit hat, entsprechende Initiativen zu entfalten? In einer Gruppe, in der man gemeinsam überlegt, was man leisten kann, ist es leichter. Zweitens kommt man mit sehr unterschiedlichen Menschen, mit denen man sonst viel weniger oder gar keinen Kontakt hätte, zusammen.

business-on.de: Im historischen Treppenhaus des OLGs finden regelmäßig Kunstausstellungen statt, die von Ihnen mit organisiert werden. Für welche Kunstrichtung interessieren Sie sich persönlich?

Gräfin von Schwerin: Ich interessiere mich für jede Form der modernen Kunst. Das Fenster von Richter am Südportal des Kölner Doms gefällt mir beispielsweise außerordentlich gut. Es ist einfach schön und es passt farblich wunderbar. Jede künstlerische Epoche hat im Dom ihren Platz gefunden, warum also nicht auch die heutige moderne Kunst. Von den Klassikern liebe ich ganz besonders Miro. Jedes seiner Bilder ist schön, jede Farbkomposition fabelhaft. Da spricht pure Lebenslust aus jedem Bild und jeder Skulptur.

business-on.de: Ja, Lebenslust passt zu Ihnen. Worüber lachen Sie am liebsten?

Gräfin von Schwerin: Ich lache viel und gern auch mal über mich selbst. Aber am liebsten lache ich beim Lesen von Büchern mit brillantem, weil scharfem und hintersinnigem Humor, wie beispielsweise „Der Fänger im Roggen“ von J.D. Salinger.