Über Druck, Zickenkrieg und Motivation

Am 26.6. ist es endlich so weit. Die Spannung steigt. Die Erwartungen sind hoch. Werden die deutschen Nationalspielerinnen dem Druck stand halten und das Finale für sich entscheiden können? Christian Buhl sprach für career-women.org mit Dr. Jeannine Ohlert, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln, über Belastung, Motivation, Zickenkrieg und Jogi Löw.

Career-Women.org: Die DFB-Spielerinnen werden in Berlin erstmals vor über 78.000 Menschen spielen. Frau Ohlert, was überwiegt aus Ihrer Sicht bei den Spielerinnen? Vorfreude oder Nervosität?

Jeannine Ohlert: Ich würde das eher positive Anspannung nennen. Es ist natürlich eine  Riesenkulisse, die es so im Frauenfußball noch nicht gegeben hat. Sicherlich wird es die eine oder andere Spielerin geben, die nervös ist. Aber spätestens zum Anpfiff wird die Nervosität keine große Rolle mehr spielen. Dann ist jede Spielerin mit den Gedanken auf dem Platz.

Career-Women.org: Die Millionen Fans im Stadion, an den Fernsehern oder beim Public Viewing erwarten nur eins: Hohe Siege und den WM-Titel. Inwieweit ist der Druck auf dem Platz spürbar?

Jeannine Ohlert: Den Druck werden die Spielerinnen bestimmt spüren. Wichtig wird sein, wie sie damit umgehen. Einige werden damit weniger Probleme haben, andere mehr. Für die einen ist es egal, ob es 10.000 oder 70.000 sind und die anderen müssen den Druck dann in positive Energie umwandeln können. Aber die Gefahr, dass so eine Kulisse in gewissem Maße lähmt, besteht natürlich auch. Wenn der Druck vom Publikum eine Spielerin so verunsichert, dass sie nur noch Sicherheitspässe spielt, dann ist das natürlich alles andere als gut. Deshalb ist es wichtig, dass man die Spielerinnen schon im Vorfeld gezielt auf solche Situationen vorbereitet. Silvia Neid hat das erkannt und für psychologische Betreuung ihres Kaders gesorgt.

Career-Women.org: Bei den letzten Länderspielen der Männer hat man gesehen, wie ungeduldig die Fans teilweise sind und das auch gerne mit Pfiffen zeigen. Kann das auch den Frauen drohen?

Jeannine Ohlert: Nein, das glaube ich nicht. Die Fans pfeifen meistens dann, wenn sie meinen, dass die Spieler auf dem Platz sich nicht engagieren und nicht genug laufen. Und das kann ich mir bei unseren Frauen ehrlich gesagt nicht vorstellen. Die meisten haben ihren Jahresurlaub für die WM nehmen müssen und sind so motiviert, das Turnier mit dem WM-Titel zu krönen, dass sie alles tun werden, damit das auch klappt. Und wenig laufen sollten die Spielerinnen auf dem Platz sowieso nicht. Auf der Bank warten ja genug Alternativen.

Zickenkrieg möglich?

Career-Women.org:  Sie sprechen es an. Die Leistungsdichte in der deutschen Frauen-Mannschaft ist sehr hoch. Jede Spielerin könnte praktisch in der ersten Elf anfangen.  Zuletzt wurde der Konkurrenzkampf auch schon öffentlich ausgetragen. Da stichelte Melanie Behringer in Richtung Fatmire Bajramaj. Wie groß ist die Gefahr für Zickenkrieg bei einem so ausgeglichenen Kader?

Jeannine Ohlert: Bei einem so ausgeglichenen Kader kann es natürlich schon mal vorkommen, dass es vielleicht etwas knistert beim Kampf um eine Position. Ist ja auch verständlich, denn es will ja Jede von Anfang an dabei sein. Wobei gerade der ausgeglichene Kader eine Stärke der Deutschen ist. Und wenn man z.B. eine Alexandra Popp für eine Birgit Prinz einwechseln kann, dann spricht das für die Stärke der Ersatzspieler. Nichtsdestotrotz sollte man Differenzen schnellstmöglich aus dem Weg räumen.

Career-Women.org: Jürgen Klinsmann galt bei der WM 2006 vorwiegend als Motivator und Jogi Löw als Taktiker. Ist Silvia Neid eher ein Klinsmann- oder ein Löw-Typ?

Taktikerin Silvia Neid à la Jogi Löw

Jeannine Ohlert: Silvia Neid ist eher eine taktisch veranlagte Trainerin. Sie arbeitet sehr akribisch und legt sehr großen Wert auf die Einhaltung ihrer Anweisungen. Von daher ist sie eher ein Jogi Löw-Typ. Sie kann aber auch im entscheidenden Augenblick richtig motivieren und durchgreifen. Für die Spielerinnen ist es enorm wichtig, dass da jemand ist, der eine klare Linie verfolgt, an der sie sich orientieren können.