Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen in EU-Ländern

Christina Boll, Julian Leppin, Anja Rossen, André Wolf: In Ländern mit geringerer Geschlechterungleichheit im Lohn sind Frauen eher seltener erwerbstätig als in Ländern mit größeren Lohnlücken. Wesentliche Einflussfaktoren der Lohnlücke sind Branchenzugehörigkeit und Wochenarbeitszeit.

Das HWWI hat eine umfangreiche englischsprachige Studie zum Thema „Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen in EU-Ländern“ veröffentlicht. Die Studie wurde von der EU-Kommission in Auftrag gegeben und finanziert. Sie untersucht in drei aufeinander aufbauenden Modulen Umfang und Ursachen der Lohnungleichheit mit aktuellen Daten der Verdienststrukturerhebung (EU-SES 2010), der Ge­mein­schafts­sta­tis­tik über Ein­kom­men und Lebens­be­din­gun­gen (EU-SILC 2013) und der Arbeitskräfteerhebung (EU-LFS 2013).

Die Kernergebnisse der Studie sind folgende:

Basierend auf SES-Daten für 21 EU-Länder plus Norwegen, beträgt die durchschnittliche unbereinigte Lohnlücke EU-weit 15,3%. Dieser Wert ist geringfügig niedriger als der von Eurostat ausgewiesene Wert für 2014 von 16,1%. Neben der Abweichung im Referenzjahr liegt dies auch an einer leicht differierenden Länderstichprobe, da für die vorliegende Studie nur jene 21 EU-Länder plus Norwegen verwendet werden konnten, die Informationen zu allen potenziellen Einflussfaktoren der Lohnlücke boten. Etwa ein Drittel davon (4,4%) entfällt auf messbare Merkmalsunterschiede zwischen Männern und Frauen. Die verbleibende bereinigte (unerklärte) Lücke beträgt 10,9%. Das heißt, Frauen verdienen 10,9% weniger als Männer mit vergleichbaren messbaren Eigenschaften wie beispielsweise Bildung, Beruf und Arbeitszeiten. Allerdings sind die Länderunterschiede in der unbereinigten Lücke beträchtlich . Sie schwankt zwischen 3,6% in Polen und 25,1% in Estland. 7 von 10 mittel- und osteuropäischen Ländern erzielen unterdurchschnittliche Lücken (Ausnahmen: Tschechien, Slowakei und Estland), während dies unter westeuropäischen Ländern nur für Italien zutrifft (4,5%). In Ländern mit geringeren Lohnlücken zwischen den Geschlechtern sind Frauen eher seltener erwerbstätig als in Ländern mit größeren Lücken. Dies ist ein Indiz dafür, dass sich in Ländern mit hohen Eintrittsbarrieren auf dem Arbeitsmarkt vor allem Frauen mit hohen Verdienstperspektiven in Beschäftigung einwählen, während sich in Ländern mit niedrigen Eintrittsbarrieren Frauen eher zwischen familienfreundlichen Arbeitsbedingungen und attraktivem Gehalt entscheiden müssen.

Der erklärte Teil der Lücke lässt sich weiter in einzelne Einflussfaktoren aufgliedern. Bei aller Unterschiedlichkeit der Länder, die hierbei zu Tage tritt, lassen sich auch einige Übereinstimmungen feststellen. Hierzu gehört, dass die Branchenzugehörigkeit einen signifikanten Anteil an den gemessenen Lohnunterschieden hat: Frauen sind in Branchen mit unterdurchschnittlicher Bezahlung überrepräsentiert. Die unerklärte Lücke ist in allen Ländern positiv. Das heißt, in allen Ländern verdienen Frauen auch aufgrund statistisch nicht erfassbarer Gründe weniger als Männer. Der unerklärte Teil der Lücke ist sogar größer als der erklärte Teil in allen Ländern mit Ausnahme von Deutschland und Norwegen.

Von allen Ländern ist der erklärte Anteil an der Gesamtlücke in Deutschland am größten. Bei der Interpretation der Zahlen ist zu bedenken, dass der unerklärte Teil der Lücke keineswegs zwingend mit Diskriminierung gleichzusetzen ist.

Zusätzliche Erkenntnisse liefern die EU SILC-Daten für 31 Länder. So trägt der Familienstand der Ehe per Saldo zur Lohnlücke bei, da erwerbstätige Männer häufiger verheiratet sind und hieraus zudem höhere Lohnvorteile erzielen als erwerbstätige Frauen. Zugunsten von Männern (bzw. Frauen) wirkt auch das Vorhandensein von am Arbeitsmarkt inaktiven (bzw. arbeitslosen) Haushaltsmitgliedern.  

Wie die Daten der Arbeitskräfteerhebung zeigen, sind EU-weit 27% der Beschäftigten mit Hochschulabschluss und 19% der Beschäftigten mit abgeschlossener Berufsausbildung formal für ihren Job überqualifiziert. Die Ergebnisse bestätigen frühere Befunde (EU-Kommission 2012). Das Risiko, überqualifiziert zu sein, variiert mit dem Alter, Bildungsstand, Berufsfeld bzw. Studienabschluss und dem Haushaltskontext der Personen, sinkt aber grundsätzlich mit einer längeren Verweildauer im Job. Geschlechterunterschiede sind zwischen Personen mittlerer Bildung nicht festzustellen, unter Hochqualifizierten sind Männer sogar etwas häufiger betroffen. Dies ist auch der Grund dafür, warum der Bildungs-Mismatch – trotz beträchtlicher Lohnnachteile im Falle seines Auftretens – nicht zur geschlechtsspezifischen Lohnlücke beiträgt. Insgesamt weist das Ausmaß der Bildungs-Mismatches in der EU darauf hin, dass die durch den Binnenmarkt geschaffenen Potenziale der Arbeitsmigration noch nicht voll ausgeschöpft werden.

Zusammenfassend identifiziert die Studie Branchenzugehörigkeit und Arbeitszeiten als die beiden wesentlichen Treiber der Lohnungleichheit der Geschlechter in den EU-Ländern. Die berufliche Zuordnung hat in den Ländern höchst unterschiedliche Effekte, die sich zu einem nur minimalen Gesamteffekt auf EU-Ebene saldieren. Der gewählte Beruf beeinflusst zudem, welche Lohneinflüsse von Branche und Arbeitszeiten auf den Lohn ausgehen. Die berufliche Segregation und auch die hierarchische Positionierung innerhalb des Berufs sind daher im Zusammenhang mit den gemessenen Branchen- und Arbeitszeiteffekten zu sehen.

Um die Lohnlücke zu schließen, sind gemeinsame Anstrengungen von Politik, Betrieben und Sozialpartnern gefordert. Auf politisch-gesellschaftlicher Ebene zählen hierzu der Abbau von Geschlechterstereotypen bei der Berufswahl und Maßnahmen zur Unterstützung von Familien bei haushaltsnahen Dienstleistungen sowie zur Förderung familienaktiver Väter. Auf betrieblicher Ebene erscheinen innovative Führungsmodelle, die Reduktion von Kosten der Zeitflexibilität und eine Neujustierung der Arbeitsbewertung insbesondere bei sogenannten frauendominierten Tätigkeiten geboten.

Kontakt:                                   Pressekontakt:

Dr. Christina Boll

Susanne Müller-Using

Hamburgisches WeltwirtschaftsInstitut
Heimhuder Str. 71

20148 Hamburg

Tel. 040 – 340 576 668

Hamburgisches WeltwirtschaftsInstitut
Heimhuder Str. 71

20148 Hamburg

Tel. 040 – 340 576 115