Intelligenz und Charakter scheiden X- und Y-Chromosom?

Zwei Veröffentlichungen dieser Woche erschüttern die Gender-Diskussionen: 1. Die Intelligenz lässt bei Männern früher nach als bei Frauen. 2. Die Charaktereigenschaften von Mann und Frau sind doch unterschiedlicher als gedacht. In beiden Fällen handelt es sich um wissenschaftliche Studien, publiziert in renommierten Fachzeitschriften.

Die Reaktionen werden vermutlich von „X: Das erklärt so einiges“ bis „Y: Hab ich doch schon immer gesagt“ reichen. Aber lassen wir die Kirche im Dorf. Im ersten Fall handelt es sich um eine Studie von Forschern des University College London (UCL), in der die kognitiven Fähigkeiten von Männern und Frauen im Alter von 45 bis 70 untersucht wurden. Ein wesentliches Ergebnis war, dass die Gehirnfunktion wie bisher vermutet nicht erst mit 60 nachlässt, sondern bereits zwischen 45 und 49 – und das ohne Unterschied des Geschlechts. Genau gesagt um 3,6 Prozent.

Der Unterschied entwickelt sich laut Studie erst in der Altersgruppe ab 65. BBC Health schreibt dazu: „The study found a 9.6% decline in mental reasoning in men aged 65-70 and a 7.4% decline for women of the same age“. In FOCUS online liest sich das dann so: „Schlechte Nachrichten für Mittvierziger – Frauen haben im Vergleich zu Männern die besseren Karten.“

Die Verlockung, daraus Kapital zu schlagen, ist sicherlich groß. Aber Hand aufs Herz: Aus einem Unterschied von 2,2% lässt sich doch kein Elefant machen? Die Studie galt übrigens dem besseren Verständnis von Demenzerkrankungen und ihrer Behandlungsmöglichkeiten.

Unterschied wie Mars und Venus

Gravierender, was die Diskussion um geschlechterspezifische Unterschiede betrifft, ist das Ergebnis eines italienisch-britischen Forscherteams. Die Autoren des Artikels „The Distance Between Mars and Venus: Measuring Global Sex Differences in Personality“ sind Marco Del Giudice (Department of Psychology, University of Turin, Italy), Tom Booth und Paul Irwing (Manchester Business School, University of Manchester, United Kingdom). Sie zweifelten die Methoden der Studien an, die nahelegen, dass die Charaktere von Männern und Frauen sich nur geringfügig unterscheiden. Die Forscher verfeinerten deshalb die Analyse mit dem Ergebnis, dass die Charakterzüge je nach Überschneidungsansatz unterschiedlich aber grundsätzlich gravierend differieren.

Die Kritik des Forscherteams wird in wissenschaft.de  folgerndermaßen beschrieben: „Vielfach seien dabei mehrere Charakterzüge zu großen Komplexen zusammengefasst worden: Unter dem Schlagwort Extraversion verbergen sich beispielsweise Eigenschaften wie Anpassungsfähigkeit und Dominanz – zwei Charakterzüge, in denen Frauen und Männer oft gegenläufige Tendenzen zeigen. Werden die beiden Werte in einen Topf geworfen, so Del Giudice, verschmelzen sie zu einem einheitlichen Mittelwert und es entstehe der Eindruck, es gäbe gar keinen Unterschied.“

Wir baten Marco Del Giudice, uns die zentralen Ergebnisse in einer für Laien verständlichen Form zu erläutern. Hier seine freundliche Antwort:

„1) Our goal was to measure the size of sex differences in personality as accurately as possible. To this aim, we did three things: (a) we measured personality on comparatively narrow traits, such as dominance, warmth, and perfectionism, rather than using broad traits such as neuroticism, agreeableness, and concientiousness. See here for a good description of the traits we measured. The reason is that broad traits obscure some interesting differences, which however become apparent when narrower traits are employed; (b) we used state-of-the-art statistical modelling to correct for measurement error; and (c) we measured „global“ differences between the typical male and female personality profiles, which are much larger than those on individual traits. Simplifying a bit, we found that the male and female profiles only overlap by 10-20%. In other words, you can guess a person’s sex with high accuracy by looking at his/her answers to a personnality questionnaire. Of course, this also leaves room for lots of individual variation and many exceptions to the general pattern.

2) Here is the meaning of the overlap, which is not completely straightforward:

If the overlap is 10%, then about 18% of the males have a personality profile that perfectly matches that of a female, and about 18% of the females have a personality profile that perfectly matches that of a male. The remaining 82% of people have a profile that cannot be matched with one of the other sex.

If the overlap is 20%, then about 33% of the males have a personality profile that perfectly matches that of a female, and about 33% of the females have a personality profile that perfectly matches that of a male. The remaining 66% of people have a profile that cannot be matched with one of the other sex.

3) Of course, I’m aware that this is a politically charged topic. However, I sincerely believe that we will be all better served by a realistic picture of how much men and women differ (or think they differ). This includes those who wish to intervene to reduce or eliminate those differences. Some may worry that studies like this one end up reinforcing stereotypes, but I’m not convinced. For decades, the consensus has been that differences in personality are small and unimportant – but this hasn’t made those differences go away, as our data show“

Man darf gespannt sein auf die Resonanz der Kollegen und Protagonisten, die den Unterschied klein halten. Letztendlich wird es auf einen Streit der Methoden hinauslaufen.

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